Nataša Sienčnik
Auf dem Sparkassenplatz in Bregenz macht ein ungewöhnliches Objekt auf sich aufmerksam. In gleichmäßigen Intervallen hallt ein Rattern über den Platz, eindringlich und sanft zugleich. Erzeugt wird der Ton von einer Fallblattanzeige, die an alte Abfahrtstafeln auf Bahnhöfen erinnern mag und die Passantinnen und Passanten um ihre Aufmerksamkeit bittet. Nähern wir uns, sehen wir Texteinträge, die für einen kurzen Augenblick still stehen, statisch festgehalten werden, bevor sich die einzelnen Module weiterdrehen und einen neuen Text formieren.
In einer Endlosschleife sind die Namen und Daten von 100 Vorarlbergerinnen und Vorarlbergern zu lesen, die dem nationalsozialistischen Unrechtsregime den Gehorsam verweigert oder aufgekündigt haben. Sie stehen stellvertretend für Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer, Wehrdienstverweigerer und Deserteure, sowie Bürgerinnen und Bürger, die gegenüber Verfolgten und Misshandelten trotz Verbots Menschlichkeit geübt haben. Die Auswahl der Personen, deren Schicksale exemplarisch für viele mehr stehen, wurde gemeinsam mit dem Historiker Werner Bundschuh getroffen. Ihre Namen werden in alphabetischer Reihenfolge angezeigt, bewusst ohne Hierarchie oder Gewichtung in ihrer Positionierung.
Nein, das Widerstandsmahnmal ist kein klassisches Denkmal, sondern vielmehr ein Ort der Erinnerung, der von Personen erzählt, die uns dafür sensibilisieren, was es bedeutet Widerstand zu leisten, anders zu denken oder zu handeln, damit aber auch gleichsam auf mögliche Konsequenzen verweist, die mit Widerstand, einem Anders-Sein oder Anders-Handeln einhergingen: Haft, Deportation und Tod. Die unterschiedlichen Geschichten der Akteure bleiben kurz leserlich stehen, bevor sie verschwinden und vergessen sind – außer sie verhaften sich im Vorübergehen in die Erinnerungen der Passantinnen und Passanten.
Die Installation besteht aus 90 Modulen, auf deren Achse in gleichmäßigem Abstand Fallblätter drehbar befestigt sind. Die Rückseite eines Plättchens und die Vorderseite des folgenden Plättchens ergeben gemeinsam eine gedruckte Glyphe und ermöglichen es so, unterschiedliche Texte darzustellen. Diese Technik steht für etwas Maschinelles, das eine zeitliche Komponente trägt, ein Prozess oder eine Schleife, die weder Beginn noch Ende hat. An dieser Stelle steht der Vergleich mit dem Erinnern, das hier beharrlich und unaufhörlich eingefordert wird.
Als Standort wurde ein zentraler und gut zugänglicher Ort gewählt. Am Sparkassenplatz war bereits über die ganze Fassadenlänge eine vorgesetzte Mauer, deren Glasschaukasten für die Installation adaptiert und überarbeitet wurde. Die technisch sehr aufwendig gestaltete Konstruktion wird dadurch vor Witterung aber auch vor Fremdeinwirken geschützt. Um die dauerhafte und problemlose Bespielung gewährleisten zu können, wurde mit dem Traditionsunternehmen Solari di Udine zusammengearbeitet. Die Anzeigetafel ist täglich von 6:00 bis 23.00 Uhr in Betrieb und läuft das ganze Jahr.
Wenn uns Ágnes Heller daran erinnert, dass es Helden braucht in dieser Welt, dann liegt das Historische der Gegenwart fast schmerzlich nahe. Es wäre doch ein Leichtes zu behaupten, dass wir ein Mahnmal bauen, damit die Gräueltaten des Nationalsozialismus, die wir nach mehr als 70 Jahren scheinbar noch immer nicht alle verurteilen, sich nicht wiederholen mögen. Das tun sie aber. Angst vor Überfremdung trübt die Idylle einer Heimat – ein Begriff der anderswo nur noch mit Vorbehalt verwendet wird.
Ich danke Werner Bundschuh, Meinrad Pichler sowie _erinnern.at_ an dieser Stelle für etwas, was wohl überfällig ist. Für eine konsequente und konstante Erinnerungsarbeit, die sich der Aufarbeitung, aber auch Vermittlung verschrieben hat. Ohne Akteure, die hier zur Gänze selbstlos agieren, wäre ein Projekt wie dieses nicht möglich.
Das Widerstandsmahnmal in Bregenz wurde 2015 von der kärntner-slowenischen Medienkünstlerin Nataša Sienčnik konzipiert, deren Arbeit sich an der Schnittstelle unterschiedlicher Disziplinen und Territorien bewegt. Nach einem Master in Kommunikationsdesign an der Kingston University in London, studierte sie Transmediale Kunst an der Angewandten in Wien und Networked Media am Piet Zwart Institute in Rotterdam. Ihre Arbeit umfasst Installationen, interaktive Prozesse, Objekte, Fotografien, Performances, Bücher und Filme. Sie ist Mitinitiatorin des Projektraumes T/abor und lehrt an der Akademie der bildenden Künste und der Graphischen in Wien.