Meinrad Pichler
Das totalitäre NS-Regime bestimmte die Politik diktatorisch, ordnete das Wirtschaftsleben nach Kriegserfordernissen und griff auch tief und gewaltsam in das soziale und private Leben der BürgerInnen ein. Das erzeugte auch Widerstand, der aber im Keim mit staatlichem Terror erstickt werden sollte. Die ParteigängerInnen der NSDAP erachteten die Ausschaltung jeglicher Opposition als angemessenes Mittel zur Verwirklichung ihres Ideals von einem starken Großdeutschland.
Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft wurde der Widerstandsbegriff recht weitläufig ausgelegt und es wurden darunter alle Handlungen subsumiert, welche von der NS-Diktatur kriminalisiert und unter Strafe gestellt wurden, obwohl sie in einem demokratischen Staat als Akte von Zivilcourage gegolten hätten. Dies geschah auch deshalb, weil man den alliierten Befreiern gegenüber das Ausmaß des Widerstands der österreichischen Bevölkerung gegen das NS-Regime besonders herausstreichen wollte. Auch die Aktivisten der so genannten Österreichischen demokratischen Widerstandsbewegung nannten sich Widerständler. Diese Gruppen hatten sich aber erst angesichts des Zusammenbruchs der NS-Herrschaft gebildet, Ordnungsfunktionen in den Befreiungstagen übernommen, zum Teil nationalsozialistische Fanatiker von Anschlägen auf Menschen und Einrichtungen abgehalten und die jeweiligen Befreiungstruppen mit Informationen zu den lokalen Verhältnissen versehen.
Heute wird der Begriff Widerstand in der Regel für all jene Handlungen verwendet, die aus und mit politischer Absicht gesetzt wurden und das Ziel verfolgten, Teilbereiche, einzelne Vertreter oder das NS-System als Ganzes zu schwächen, zu schädigen oder gar zu beseitigen.
Alle anderen Fälle, die von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) als „staatsgefährdend“ verfolgt wurden, zählen als Widersetzlichkeit (Resistenz): gegen einzelne schikanöse Anordnungen oder gegen Befehle und Maßnahmen von NS-Funktionären. Auch Spott galt dem NS-Regime als besonders gefährlich. Da auch solche Widersetzlichkeiten die Autorität des Regimes untergruben, darf ihre politische Wirkung nicht unterschätzt werden. Die Nationalsozialisten wussten das und gingen deshalb auch mit abschreckender Härte gegen jegliches oppositionelle Verhalten vor.
Die Gestapo bildete die zentrale Verfolgungsbehörde für alle „Delikte“, die als „gegen Staat, Partei oder Volk“ gerichtet eingeschätzt wurden. Anzeigen aus der Bevölkerung, so genannte Denunziationen, bildeten den häufigsten Anlass für das Einschreiten der politischen Polizei, die Verhaftungen wurden in der Regel von der Gendarmerie vorgenommen. Der Gestapo stand eine ganze Bandbreite an Verfolgungs- und Unterdrückungsmaßnahmen zur Verfügung. Sie reichten von der Verwarnung bis zur „Sonderbehandlung“ (Tarnbezeichnung für Folter und Mord). Einfachere „Delikte“ oder solche, die man öffentlich abgestraft sehen wollte, wurden den Sondergerichten zugewiesen, die in vereinfachten Verfahren – ohne Berufungsmöglichkeit der Angeklagten – (ver)urteilen konnten. Dazu erhielten sie drei weit auslegbare Paragrafen, mit denen sie resistentes Verhalten in unterschiedlicher Schärfe verurteilen konnten: „Heimtücke“, „Zersetzung der Wehrkraft“ und „Vorbereitung zum Hochverrat“. Mindestens 200 Personen aus Vorarlberg wurden von solchen Sondersenaten zu Gefängnisstrafen verurteilt. Mit Kriegsbeginn wurden die grausamen Möglichkeiten der verkommenen „Rechtsprechung“ noch um die Kriegssonderstrafrechtsverordnung erweitert, die das Zivil- und Militärrecht weiter radikalisierte. Diese staatliche Einschüchterung und Bedrohung zeigt durchaus Wirkung. Sie führte bei vielen Oppositionellen zu einer Abwendung von der Öffentlichkeit, zum Verstummen, zur totalen Vorsicht. Man nennt diese schweigende, äußerlich angepasste, aber in der privaten Umgebung gegnerische Haltung auch innere Emigration.
Der Widerstand gegen das NS-Regime beziehungsweise die Widersetzlichkeiten gegen NS-Maßnahmen und Personen waren so vielfältig wie die Eingriffe der Diktatur in den Lebensalltag der Menschen. Viele oppositionelle Handlungen und mutige Hilfsmaßnahmen für Bedrängte wurden aber nie aktenkundig, weil sie glücklicherweise den Verfolgungsbehörden nicht bekannt wurden. Deshalb ist das wirkliche Ausmaß an oppositionellen Handlungen und Haltungen kaum messbar. Ins engmaschige Netz der NS-Verfolgung, gespannt von Privatleuten, die dem „Führer“ Unterstützung sein oder sich wichtig machen wollten, und dem staatlichen Terrorapparat gerieten auch in Vorarlberg zahlreiche Menschen, die den Mund nicht hielten, wenn sie schreiendes Unrecht erlebten; die nicht wegschauten, wo andere in Not oder bedroht waren oder die verweigern, wo die Grenzen ihrer politischen Moral oder ihres Gewissens überfordert wurden. Allein die Bregenzer Gestapo dürfte in den sieben Jahren ihrer nahezu unumschränkten Herrschaft an die 10.000 Menschen verhört haben, gut 6.000 ließ sie einsperren. Im Feldkircher Gefängnis waren zeitweise bis zu 400 Personen in Haft. Regulär war Platz für 141 Häftlinge. Davon bildeten die Schweizflüchtlinge und die ZwangsarbeiterInnen zwar die überwiegende Mehrheit, es bleiben aber 2.700 Einheimische, die über kürzere oder längere Zeit im Gefangenenhaus Feldkirch als so genannte politische Häftlinge inhaftiert waren.
Vier auffällige Gruppen können festgemacht werden, die sich dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat am häufigsten widersetzten: Religiöse Menschen, die ihrem Gewissen und den Grundsätzen ihrer Religion folgten; dazu zählten überzeugte KatholikInnen ebenso wie etwa die Zeugen Jehovas. Weiters Personen mit einer gefestigten linken politischen Einstellung; und schließlich solche, die aus einer tiefen humanitären Haltung für geschundene Mitmenschen eintraten und die Diskriminierungsvorschriften missachteten. Und schließlich noch die kleine Gruppe von Monarchisten und Konservativen, die trotz großdeutscher Allmacht unbeirrt an Österreich festhielten. Natürlich kann man diese Motivlagen nicht immer voneinander trennen, aber es sind die Richtungen.
In den Verhörräumen der Gestapo landeten auch Personen, die aus Eigennutz mit den kriegswirtschaftlichen Verordnungen in Konflikt geraten waren: fürs Schwarzschlachten, für Schleichhandel, für Devisenvergehen oder für Verstöße gegen die Verdunkelungsverordnung. Auch in diesem Bereich finden sich Vergehen, die rein private, aber ebenso politische Ursachen haben konnten. Dies betraf beispielsweise die Zwänge in der Arbeitswelt: Fernbleiben vom Arbeitsplatz – ein häufiges Delikt – konnte aus privaten Gründen geschehen, aber auch eine Form des Protests darstellen; so auch die Verweigerung in einem vom Arbeitsamt zugewiesenen Rüstungsbetrieb zu arbeiten; oder wenn jemand gegen die laufenden Verschlechterungen der Arbeitsverhältnisse opponierte. Auch dem öfters bestraften Abhören von Auslandssendern konnten unterschiedliche Motive zugrunde liegen.
In vielen Fällen sind die Übergänge zwischen beabsichtigtem politischen Widerstand, Widersetzlichkeit gegen einzelne Maßnahmen des Systems oder private Unzufriedenheit fließend. Auch der Gestapo bleiben die wirklichen Motive trotz Drohungen und Schlägen oft verborgen.
Ebenso unterschiedlich konnten die Ursachen und Anlässe sowie der Grad der Radikalität für militärische Gehorsamsverweigerungen sein. Sie reichen von Fluchten in den letzten Kriegstagen über Desertionen aus oppositioneller Überzeugung bis zur Verweigerung des Eintrittes in den Militärdienst. Ernst Volkmann aus Bregenz, der in Hitler einen Verbrecher sah, verweigerte die Einziehung in die Wehrmacht und wurde dafür hingerichtet. Insgesamt sind 80 Personen nachgewiesen, die aus politischen Gründen entweder von Gerichten zum Tode verurteilt und hingerichtet, in Konzentrationslagern zu Tode gebracht, kämpfend und auf der Flucht getötet wurden oder sich der KZ-Einlieferung durch Freitod entzogen haben. Etwa 120 VorarlbergerInnen wurden für ihren Widerstand, ihre Menschlichkeit oder ihr Anderssein in Konzentrationslagern gequält.